Die enteignete Geburt.

Über den Moment, in dem wir das Ankommen dem System übergaben.

Es gibt eine Frage, die wir uns kaum noch zu stellen wagen, weil sie zu nah geht, zu tief schneidet, zu viel entlarvt:

Seit wann legen wir die Geburt – den intimsten Übergang des Menschen – in die Hände derer, die selbst nicht gebären?

Warum ist es noch immer geforderte Norm, dass wir uns in ein Krankenhaus begeben, um durch grobe Eingriffe von Fremden unsere Kinder ‘entbinden’ zu lassen?
Warum steigen die Zahlen der Kaiserschnitte, chemischen Mittel sowie daraus entstehende Verletzungen und Traumata immer weiter?

Und warum empfinden wir das als Fortschritt?

Die Geburt war einmal ein Schwellenritual..

Geburt war kein medizinischer Vorgang. Keine Krankheit, die behandelt werden muss.
Sie war ein Riss zwischen den Welten.
Sie war ein Übergang, begleitet von Frauen, Körpern, Stimmen, Schweiß, Blut, Intuition.

Geburt bedeutete:

  • Zeit statt Taktung

  • Beziehung statt Kontrolle

  • Erfahrung statt Expertise

  • Vertrauen statt Vorsoge

Das Wissen darüber lebte im Körper, nicht im Lehrbuch.

Doch dann begann etwas anderes.

Der Moment der Enteignung

Mit der Industrialisierung begann die systematische Verlagerung der Geburt:

  • aus Häusern in Kliniken

  • aus Händen in Apparate

  • aus Beziehung in Prozesse

Nicht, weil wir Weiber plötzlich unfähig wurden, zu gebären.
Sondern weil das System begann, allem zu misstrauen, was nicht messbar, steuerbar, abrechenbar ist. Weil das unterdrückt und mundtot gemacht werden sollte, was für Wildheit, Freiheit, Macht steht und Würde in sich trägt. Weil das gezähmt werden sollte, was unabhängig und unkontrollierbar war.

So wurde die Geburt…

  • planbar gemacht

  • normiert

  • standardisiert

  • versichert

  • codiert

Und damit: enteignet.

Wenn Kontrolle die Angst vor dem Unkontrollierbaren ist

Geburt ist chaotisch.
Sie folgt keinem Stundenplan.
Sie gehorcht keinem Schichtsystem.
Sie sprengt die Illusion, dass der Mensch Herr über den Prozess ist. Dass der Mann führt und leitet.

Dass der Mensch die Herrschaft über die Natur hat. Dass Körper, insbesondere von Weibern, Objekte und Besitz seien, die gezähmt, kontrolliert und in Normen gezwängt werden müssen.

Genau das ist ihr Problem.

Ein System, das auf Effizienz und Kontrolle basiert, kann keinen Raum halten für:

  • Langsamkeit

  • Würde

  • Geduld

  • Ambivalenz

  • Hingabe

  • Unberechenbarkeit

  • Magie

  • Wildheit

Also wurde Geburt „sicher“ gemacht.
Aber Sicherheit wurde verwechselt mit Kontrolle.

Und Kontrolle ist fast immer ein Symptom von Angst.

Der Körper wurde zum Risiko erklärt. Schwangerschaft wie eine Krankheit behandelt.

Die moderne Geburt und die diesbezüglich geregelten Handhabungen erzählen eine Geschichte:

Dein Körper ist potenziell gefährlich.
Deine Intuition ist unzuverlässig.
Dein Rhythmus ist ineffizient.

Deshalb braucht es angeblich, vorgeblich, angeordnet:

  • blindes Vertrauen auf “Experten” und Autoritätspersonen

  • engmaschige Überwachung

  • “Vorsorge” statt Urvertrauen

  • vielseitige Eingriffe

  • Eingrenzungen

  • Beschleunigung

Was früher Ausnahme war, wurde zur angenommenen Norm.
Was früher seltene Rettung war, wurde Routine.

Nicht unbedingt aus Bosheit.
Sondern aus einem toxischen Weltbild, das dem Leben selbst misstraut.

Das Kind kommt nicht mehr an – es wird „entbunden“ und übergeben…

Was bedeutet es für ein Wesen, so anzukommen?

Nicht gerufen.
Nicht empfangen.
Sondern übernommen.

Der erste Kontakt mit der Welt ist:

  • grelles Licht

  • kalter Stahl

  • Trennung

  • Fremde

  • Zeitdruck

  • Abmessung

Der Körper lernt, noch bevor der Verstand existiert:

Übergänge geschehen nicht aus mir heraus.
Jemand anders weiß besser, wann ich bereit bin.
Ich bewege nicht selbst, ich werde bewegt.

Das ist keine bewusste Erinnerung.
Das ist ein verunsicherndes Grundgefühl.

Die Geburt als erste Schulung in Anpassung…

Hierin liegt der unbequeme Kern:

Die medizinisch organisierte Geburt produziert keine gesunden Menschen.
Sie produziert angepasste Menschen.

Sie minimiert kein natürliches bestehendes Risiko.

Sie produziert unnötige Risiken und vermeidbare Nebenwirkungen.

Sie fügt Wunden, Trennung, Schmerzen und Krankheit zu, denen dann mit unnatürlichen Mitteln begegnet werden soll.

Es ist ein kontrollierter Teufelskreis aus Angst und Eingriff, Verletzung und Sorge.

Und es konditioniert Menschen, die:

  • frühe Trennung internalisieren

  • Sicherheit im Außen suchen

  • Kontrolle mit Schutz verwechseln

  • Funktion mit Wert gleichsetzen

  • sich an äußere Autorität klammern

  • sich leichter Hierarchien unterwerfen

  • ihre eigene Intuition und innere Stimme verraten

Das sind keine ursprünglichen Schwächen.
Das ist Konditionierung ab dem ersten Augenblick des Lebens – und das sind perfekte Eigenschaften für ein System, das funktionieren und beherrschen will.

Die stille Allianz von Medizin, Ökonomie und Pharma

Niemand muss sich verschwören.
Systeme wirken ohne Absprache. In stillschweigender Übereinkunft zwischen denen, die nichts dem Zufall überlassen wollen. Die keine selbstbestimmten Individuen tolerieren können, sondern die treue Konsumenten, abhängige Käufer und unsichere Untertanen brauchen.

Ein paar nüchterne Tatsachen, ohne zu sehr in die Verschwörung einzutauchen:

  • Eingriffe sind abrechenbar

  • Zeit ist Geld

  • Planbarkeit spart Ressourcen

  • Medikamente ersetzen wahre Beziehung

Wo Übergänge standardisiert werden, entstehen Märkte.
Wo Unsicherheit erzeugt wird, entstehen Abhängigkeiten.
Wo Regulation fehlt, wird kompensiert.

Vielleicht nicht weil die Pharmaindustrie von Grund auf böse ist.
Sondern weil Verletzungen profitabel sind, wenn man sie nicht heilt, sondern verwaltet.
Weil Wunden trennen und unselbstständiger machen, was für ein System von Vorteil ist.

Weil ein Riss, der nicht nur nicht umsorgt, sondern schlicht totgeschwiegen wird, sich in klaffende Wunden verwandelt, und in hässliche Narben, die uns als Individuen und als Gesellschaft verunstalten und leiden lassen. Menschen, die sich tief im Inneren verletzt und gebrochen fühlen, ohne zu wissen, warum oder ohne jemals eine Hand in Richtung Heilung gereicht zu bekommen, werden immer weiter leiden. Entweder im Stillen einsam verkümmern und emotional verarmen, und/oder diese Schmerzen auf ihre Nahestehenden sowie nächsten Generationen übertragen, sowie die gesamte Gesellschaft in einem Zustand unerfüllter Bedürfnisse sowie Bindungsangst prägen.

Die Geburtswunde als kollektiver Zustand

Was wir erleben, ist kein individuelles Trauma.
Es ist ein gesellschaftlicher Grundzustand.

Symptome überall:

  • Erschöpfung ohne Grund

  • Bindungsangst bei Beziehungssehnsucht

  • Selbstoptimierung statt Selbstvertrauen

  • Konsum als Trost

  • Arbeit als Ersatz für Halt

Wir leben in einer Gesellschaft von Menschen,
die nie wirklich angekommen sind.

Warum die Geburt in fremde Hände gegeben wurde

Zurück zur Kernfrage:

Warum haben wir das zugelassen?

Vielleicht, weil wir selbst nicht mehr wissen, wie Vertrauen sich anfühlt.
Vielleicht, weil wir gelernt haben, Autorität über Erfahrung zu stellen.
Vielleicht, weil wir die Angst vor Verantwortung an Institutionen delegieren.

Und vielleicht, weil ein System, das auf Entfremdung basiert,
keine souveränen Anfänge gebrauchen kann.

Heilung ist revolutionär

Eine Gesellschaft, die:

  • Geburt wieder als Beziehung begreift

  • Zeit über Effizienz stellt

  • Körperwissen ernst nimmt

  • Mütter nicht trennt

  • Kinder willkommen heißt

würde etwas Gefährliches hervorbringen:

Menschen, die sich sicher fühlen, ohne sich an Systeme zu binden.

Das wäre kein Fortschritt.
Das wäre ein Bruch.

Die unbequeme Wahrheit

Vielleicht ist die größte Lüge unserer Zeit nicht,
dass wir abhängig und machtlos sind.

Dass wir Heilung benötigen, da wir krank sind.

Sondern dass uns Glauben gemacht wird, es sei normal,
den heiligen Anfang des Lebens auszulagern,
zu kontrollieren,
zu beschleunigen
und zu verwalten.

Vielleicht beginnt Freiheit dort,
wo wir die Demut und den Mut haben zu sagen:

Geburt gehört niemals dem System.
Sie gehört dem Leben.
Und das Leben ist nicht effizient oder planbar –
aber wild, wundersam und wahrhaftig.

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Alchemy.